Armadillo by Boyd William
Autor:Boyd, William [Boyd, William]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783827074270
Herausgeber: eBook Berlin Verlag
veröffentlicht: 2011-05-28T22:00:00+00:00
11. Kapitel
Flavia Malinverno küßte ihn, wie er noch nie geküßt worden war. Irgendwie hatte sie ihre Oberlippe zwischen seine Oberlippe und die Vorderzähne geschoben. Abgesehen davon war es ein klassischer Vollblutkuß, aber was er vor allem spürte, war dieser seltsame Druck auf die obere Mundpartie. Ein erregender erster Kuß. Flavia löste sich von ihm. »Mmmmm«, machte sie. »Nett.«
»Küß mich noch mal«, sagte er, und sie tat es, die Hände flach an seine Wangen gelegt. Diesmal saugte sie an seiner Unterlippe, dann an seiner Zunge wie ein nuckelndes Kälbchen.
Ein Klartraum, eindeutig und unmißverständlich, dachte er, als er die zensierte Fassung in das Traumbuch neben dem Bett einschrieb. Er wollte noch einmal geküßt werden und hatte seinen Traum so eingerichtet, daß es klappte – Alan würde sich freuen. Er saß aufrecht auf der schmalen Liege der Schlafkabine, ein wenig atemlos und erschüttert von der Lebendigkeit seines Eindrucks, von der unwiderleglichen Beweiskraft seiner Erektion, und staunte erneut über die Fähigkeit des Geistes, komplexeste körperliche Empfindungen zu kopieren, nein, besser noch, ganze Abfolgen sinnlichen Erlebens zu erfinden. Was sie mit ihrer Lippe machte … Gefühlsechter ging es nicht. Und doch war er hier allein in einem Obergeschoß des Universitätsgebäudes von Greenwich, und zwar um – er sah auf die Uhr – vier Uhr dreißig früh. Der Traum hatte eine einfache kausale Erklärung. Er würde Flavia noch an diesem Tag wiedersehen, sie beherrschte seine Gedanken und drängte alles andere – Torquil, Hogg, Rintoul, das Haus in Silvertown – an den Rand. Er schüttelte den Kopf und schnaufte laut wie ein Athlet nach einer Kraftanstrengung. Dann fiel ihm ein, daß außer ihm noch zwei andere Versuchskaninchen ihren Leichtschlaf im Institut absolvierten. Er legte sich wieder hin, die Hände hinter dem Kopf gefaltet, und sah ein, daß es zwecklos war, noch einen Einschlafversuch zu machen und seinen Klartraum noch einmal hervorzulocken. Lächelnd kostete er die Erinnerung aus: Der Traum war eine Zugabe. Er hatte nicht vorgehabt, die Nacht im Institut zu verbringen, aber diese Lösung hatte sich als willkommener, um nicht zu sagen notwendiger Ausweg erwiesen.
Als er am Abend zuvor nach Hause zurückgekehrt war, hatte sich Torquils Unordnung wie eine Elefantenfährte durch seine Wohnung gezogen. Die zerknautschte Decke hing vom Sofa herab wie eine geschmolzene Dal’-Uhr, die deformierten Kissen lagen auf dem Sessel daneben, Torquils Koffer stand aufgeklappt mitten auf dem Teppich, seine schmutzige Wäsche lag offen ausgebreitet wie ein besonders unappetitliches Aufklappbuch, drei volle Aschenbecher standen herum, und die Küche bedurfte einer zehnminütigen Feuchtreinigung. Ein paar geschickte Handgriffe am Schwimmer des Spülkastens ermöglichten es ihm schließlich, die verschiedenartigen Verdauungsprodukte Torquils wegzuschwemmen. Er nahm sich vor, ein Schloß an der Schlafzimmertür anbringen zu lassen: Torquil hatte offensichtlich seine Schränke und die Kommode durchwühlt, und es fehlte ein Hemd. Ein kurzer Aufräumeinsatz und ein Rundgang mit dem Staubsauger versetzten die Wohnung annähernd wieder in den Normalzustand.
Dann kam Torquil zurück.
»Katastrophe!« kündigte er schon beim Eintreten an und marschierte zielstrebig auf den Getränketisch zu, wo er sich einen dreifingerhohen Scotch eingoß. »Mir langt’s, Lorimer. Heute hätte ich töten können. Wäre
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